Ausgerechnet jetzt!

 

 

An einem Bahnhof in unserer Nähe wird nicht nur Personenverkehr abgefertigt, er ist auch Umschlagplatz für Güterwagons. Der gesamte Bahnbetrieb überquert dabei eine viel befahrene Durchgangsstrasse, und so kommt es immer wieder zu enorm langen Warteschlangen vor der Schranke – eine große Geduldsprobe, wenn man es gerade eilig hat.

 

Kennen wir nicht alle solche Zeiten, in denen wir mit Tatendrang und vielen Ideen im Kopf loslegen wollen, und dann läuft nichts wie geplant? Die äußeren Umstände ändern sich und behindern uns – wie etwa in der Pandemie erlebt. Oder unsere Gesundheit macht uns einen Strich durch die Rechnung, ‚ausgerechnet jetzt‘.

Der Waisenvater Georg Müller kam zu der Erkenntnis, dass die Schritte eines Menschen ebenso von Gott gelenkt werden wie Zeiten des Stillstands.

Joseph hatte sich die Erfüllung seiner Träume (1 Mo 37,1-11) vermutlich auch anders vorgestellt. Alles deutete darauf hin, dass er über seine Brüder und seinen Vater herrschen würde, doch begann seine ‚Karriere‘ mit Sklavenarbeit und brachte ihn ins Gefängnis. Erst Jahre später erhielt er eine Position in Ägypten, die ihm nicht nur Autorität und Einfluss sicherte, sondern auch seiner Familie zugutekam und ihn zum Segen für seine neue Heimat und für das Volk Israel werden ließ.

Was bezweckt Gott mit solchen Zeiten des Stillstands? Markieren sie nicht verlorene Gelegenheiten? Mit Blick auf unser eigenes Leben, unsere Zielsetzungen und Hoffnungen liegen diese Gedanken vielleicht nahe. Doch Gott sieht das größere Bild, hat für uns einen spezifischen Platz im Zusammenspiel mit all denen, die am Bau Seines Reiches beteiligt sind. Der englische Gelehrte John Ruskin verdeutlichte das am Beispiel einer Musikpartitur, die den einzelnen Instrumenten immer wieder Pausen vorgibt. ‚In einer Pause‘, so sagte er, ‚schweigt die Musik, und doch wird in ihr Musik gemacht‘.

Wie ein Dirigent hat Gott alle Instrumente im Blick, weiß, wann unsere Stimme schweigen muss und wann sie wieder gehört wird. Doch anders als ein Dirigent nutzt Er solche Pausen und Geduldsproben, um an uns zu arbeiten und für die Aufgaben bereit zu machen, die Er für jeden von uns vorbereitet hat (Eph 2,10).

Joseph hat in schwierigsten Umständen Gottes Zeitplan akzeptiert und durchgestanden. Sind auch wir bereit, ‚ausgerechnet jetzt‘ unbequeme Wartezeiten als Gottes Gelegenheiten anzunehmen und auszuschöpfen?

(Copyright © Ulrike Krallmann 2022)